21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen Dienststelle Steuern des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |
2C_398/2021 vom 23. Dezember 2021 | |
Regeste | |
Art. 3 Abs. 1 und 2 sowie Art. 4b Abs. 1 StHG; Art. 127 Abs. 3 BV; § 8 Abs. 1 und 2 StG/LU; Wohnsitz bei einer Patchwork-Familie; leitender Angestellter; alternierender Wohnsitz.
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Sachverhalt | |
A.a A.A. ist Alleinaktionär und Geschäftsführer der B. Holding AG (nachfolgend: die Holdinggesellschaft), die ihrerseits Alleinaktionärin der C. AG ist. Beide Gesellschaften haben ihren Sitz in T./ZG. A.A. ist ferner Gründer und Stiftungsratspräsident der A.A.-Stiftung (nachfolgend: die Stiftung), ebenfalls mit Sitz in T. /ZG.
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A.b Die C. AG ist Eigentümerin eines am Vierwaldstättersee gelegenen, 2'470 m 2 umfassenden Grundstücks, welches zusammen mit seinen Nachbargrundstücken das sogenannte Areal U. bildet, das sich auf dem Gebiet der Gemeinde V./LU befindet. (...)
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A.c Am 12. Dezember 2016 bzw. am 5. Januar 2017 forderte die Gemeinde V./LU A.A. auf, sich in der Gemeinde anzumelden. Mit Schreiben vom 11. Januar 2017 bestritt A.A. die Wohnsitzverlegung ![]() ![]() | |
A.d Nach der Trennung im Jahr 2016 und der anschliessenden Scheidung von der Mutter seiner drei Kinder heiratete A.A. im Jahr 2019 B.A. B.A. wohnt in der neu gebauten 7-Zimmer-Maisonettewohnung [auf dem Areal U.] in V./LU. Im Jahr 2019 waren A.A.s Kinder zwölf, 16 und 18 Jahre alt.
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B. Nachdem A.A. den aufforderungsgemäss ausgefüllten Fragebogen zur Feststellung des steuerrechtlichen Wohnsitzes an die Gemeinde V./LU zurückgesandt hatte, stellte diese mit Entscheid vom 12. März 2020 fest, dass A.A. ab dem Steuerjahr 2019 in der Gemeinde V./LU unbeschränkt steuerpflichtig sei. Eine dagegen gerichtete Einsprache wies die Dienststelle Steuern des Kantons Luzern am 20. Mai 2020 ab. Dagegen führte A.A. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Kantonsgericht Luzern. Dieses wies das Rechtsmittel mit Urteil vom 23. März 2021 ab.
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C. Mit Beschwerde vom 11. Mai 2021 beantragt A.A., es sei das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 23. März 2021 aufzuheben. Es sei festzustellen, dass sich sein steuerrechtlicher Wohnsitz nicht in V./LU befinde. Es sei festzustellen, dass sich der steuerrechtliche Wohnsitz in T./ZG befinde. Eventualiter beantragt A.A., es sei festzustellen, dass ein alternierender Wohnsitz in T./ZG und V./LU vorliege und es sei die Angelegenheit an die Kantonale Steuerverwaltung Luzern zur Vornahme der Veranlagung zurückzuweisen. (...)
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(Auszug)
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3.1.2 Es ist zulässig und oft notwendig, dass sich die Behörden in ihrer Beweiswürdigung auch auf Indizien stützen und daraus Schlüsse auf relevante Tatsachen ziehen (sog. natürliche Vermutungen; vgl. Urteil 2C_480/2019 vom 12. Februar 2020 E. 2.3.1; ![]() ![]() | |
Erwägung 3.2 | |
3.2.1 Gemäss § 8 Abs. 1 StG/LU sind natürliche Personen aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig, wenn sie ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt im Kanton Luzern haben. § 8 Abs. 2 StG/LU präzisiert, dass eine Person einen steuerrechtlichen ![]() ![]() | |
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3.3.1 Verheiratete Steuerpflichtige, Steuerpflichtige in eingetragener Partnerschaft sowie Personen in eheähnlichen Konkubinaten haben ihren Wohnsitz grundsätzlich am Ort der gemeinsamen Familienwohnung (Familienort). Selbst wenn solche Personen unter der Woche an einem anderen Ort einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, werden die durch persönliche und familiäre Bande begründeten Beziehungen in der Regel für stärker erachtet als jene ![]() ![]() | |
3.3.2 Allerdings ist auch bei verheirateten Steuerpflichtigen und Steuerpflichtigen in eingetragener Partnerschaft - ungeachtet der gemeinsamen Besteuerung (vgl. Art. 3 Abs. 3 und 4 StHG) - der Wohnsitz für jeden Ehegatten bzw. Partner gesondert zu ermitteln (BGE 121 I 14 E. 5b; Urteile 2C_480/2019 vom 12. Februar 2020 E. 2.2.3; 2C_935/2018 vom 18. Juni 2019 E. 4.3). Ausnahmsweise können Ehegatten und eingetragene Partner daher trotz intakter Ehe bzw. Partnerschaft ihre Wohnsitze an unterschiedlichen Orten haben. So können bei unselbständig erwerbstätigen Steuerpflichtigen, die eine leitende Stellung bekleiden und nur an den Wochenenden und an den freien Tagen an den Aufenthaltsort des Ehegatten bzw. Partners zurückkehren, die zum Arbeitsort bestehenden Beziehungen diejenigen zum Familienort an Stärke überwiegen. Diesfalls befindet sich ihr Wohnsitz nicht am Familienort, sondern am Arbeitsort (vgl. BGE 132 I 29 E. 4.2; BGE 125 I 54 E. 2b/aa; BGE 121 I 14 E. 4a; BGE 104 Ia 264 E. 3e; BGE 101 Ia 557 E. 4a; Urteile 2C_303/2020 vom 6. Juli 2020 E. 4.2.2; 2C_301/2017 vom 13. November 2017 E. 4.2 und 4.3, in: RtiD 2018 I S. 576). Praxisgemäss ist von einer leitenden Stellung eines Steuerpflichtigen nur dann auszugehen, wenn die berufliche Tätigkeit diesen so stark beansprucht, dass die familiären und sozialen Beziehungen in den Hintergrund treten. Dies kommt nur dann infrage, wenn die steuerpflichtige Person a) eine leitende Stellung in einem wirtschaftlich bedeutenden Unternehmen bekleidet, was voraussetzt, dass sie b) eine besondere Verantwortung trägt und c) zahlreichem Personal vorsteht (BGE 132 I 29 E. 4.3; BGE 125 I 458 E. 458 E. 2d; Urteil 2C_580/2017 vom 16. März 2018 E. 4.2, in: RDAF 2018 II S. 49). Von getrennten Wohnsitzen der Ehegatten oder Partner ist ferner auszugehen, wenn ein Ehegatte oder Partner dauerhaft und nicht bloss vorübergehend getrennt von der Familie lebt und auch an den Wochenenden nicht regelmässig zurückkehrt (vgl. BGE 121 I 14 E. 4b; BGE 104 Ia 264 E. 2; BGE 80 I 184 E. 2; 47 I 64 E. 3; 40 I 221 S. 227 f.; ZWEIFEL/HUNZIKER, in: Interkantonales Steuerrecht, 2. Aufl. 2021, § 6 Rz. 30).
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3.3.3 Diese Praxis findet analog auch auf ledige Personen Anwendung, zählt die Rechtsprechung doch Eltern und Geschwister ebenfalls zur Familie des Steuerpflichtigen. Allerdings werden die ![]() ![]() | |
3.4 Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt (Art. 105 Abs. 1 BGG), dass die Ehegattin des Beschwerdeführers die neu gebaute 7-Zimmer-Maisonettewohnung auf dem Areal U. in V./LU bewohnt. Laut den Angaben des Beschwerdeführers übernachtet er "hie und da" bzw. mindestens zweimal pro Woche in der ![]() ![]() | |
Der Beschwerdeführer bringt vor, dass auch seine Ehefrau stark im Kanton Zug verwurzelt sei. Sie verfüge über eine eigene Wohnung in Y./ZG, besitze seit dem Jahr 2013 das Bürgerrecht von Y./ZG und verbringe mit dem Beschwerdeführer und seinen Kindern aus erster Ehe Zeit in T./ZG. Abgesehen hiervon stellt er die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz nicht infrage. Soweit er die "natürlichen Vermutungen" kritisiert, derer sich die Vorinstanz bedient, um den steuerrechtlichen Wohnsitz festzulegen, betrifft seine Rüge nicht die Ermittlung des Sachverhalts, sondern die Anwendung des Wohnsitzbegriffs und damit eine Rechtsfrage (vgl. oben E. 3.2.2).
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3.5.1 Das Bundesgericht hatte noch nicht zu beurteilen, welche familiären Bindungen in einer solchen Konstellation schwerer wiegen, in Bezug auf Personen in Konkubinatsverhältnissen ohne Kinder hat das Bundesgericht hingegen bereits mehrfach festgehalten, dass solche Paarbeziehungen gewöhnlich stärker zu gewichten sind als die familiären Bande zu Eltern und anderen Familienmitgliedern (vgl. BGE 115 Ia 212 E. 3; Urteile 2C_536/2014 / 2C_537/2014 vom ![]() ![]() | |
3.6.1 Die Rechtsprechung nimmt eine leitende Stellung, bei der die familiären Bande zugunsten der Arbeit in den Hintergrund treten, jedoch nur unter strengen Voraussetzungen an (vgl. oben E. 3.3.2). Diese sind hier offensichtlich nicht gegeben, steht der ![]() ![]() | |
3.8 Schliesslich beruft sich der Beschwerdeführer eventualiter auf einen sogenannten alternierenden Wohnsitz in V./LU und T./ZG und ![]() ![]() | |
3.8.3 Nach Ablauf der Umsetzungsfrist von Art. 72 Abs. 1 StHG hat das Bundesgericht in einem Einzelfall einen alternierenden ![]() ![]() | |
3.8.4 Es lässt sich fragen, ob am letztgenannten Verständnis des alternierenden Wohnsitzes festgehalten werden und inwiefern im harmonisierten Steuerrecht (insb. mit Blick auf Art. 4b Abs. 1 StHG) das Konzept des alternierenden Wohnsitzes überhaupt noch Anwendung finden kann. Diese Fragen brauchen hier aber nicht abschliesend entschieden zu werden. Denn im vorliegenden Fall sind weder nach der Konzeption der publizierten Rechtsprechung zum interkantonalen Steuerrecht (vgl. BGE 101 Ia 557 E. 3; BGE 100 Ia 242 E. 2b) noch nach derjenigen, die dem Urteil 2C_969/2010 vom 3. August 2011 zugrunde lag, die Voraussetzungen für die Annahme eines alternierenden Wohnsitzes erfüllt. Der Beschwerdeführer hat seinen Lebensmittelpunkt offensichtlich nicht in regelmässigen Abständen von T./ZG nach V./LU (und vice versa) verlegt, wie es die publizierte Rechtsprechung zum interkantonalen Steuerrecht verlangte. Er verbrachte zwar über das ganze Jahr gesehen wohl annähernd gleich viel Zeit in T./ZG wie in V./LU und unterhielt in T./ZG auch bedeutende persönliche, familiäre und gesellschaftliche Beziehungen. Jedoch wiegt die Beziehung zu seiner Ehegattin in V./LU schwerer als diese anderen Lebensinteressen. Die Vorinstanz ist folglich zu Recht zum Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensmittelpunkt und damit seinen steuerrechtlichen Wohnsitz in V./LU hat. Damit steht die Steuerhoheit dem Kanton Luzern zu. Das Urteil der Vorinstanz ist nicht zu beanstanden. ![]() |